Zene Artzney

Die Zahnheilkunde in der Karikatur (2)


Aus dem 16. und 17. Jahrhundert gibt es eine große Anzahl von Darstellungen des Baders und Zahnbrechers. Zahnärztliche Motive, somit das Leib-Seele-Problem, fanden in hohem Maße ihre bildliche Darlegung in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Holland entwickelte sich mit seinen berühmten Universitäten und Malern zum europäischen Zentrum. Der Wert der Malerei muß sehr hoch eingeschätzt werden, dienten die Bilder doch häufig dazu, Schulden, Miete, Weinlieferungen oder anderes abzustottern. Herausragende Vertreter dieser Periode der Malerei sind Jan Steen (1626 -1679), Adriaen Brouwer (1605 -1638), Adriaen van Ostade (1610 -1684), Jan Victors (1620 -1676), Gerard Dou (1613-1675), David Teniers d. J. (1610 -1690) und Gerard van Honthorst (1590 -1656).

Weil sich zuvor der Bilderkonsum weitestgehend auf Adel und Klerus beschränkte, dominierten bei der Wahl der Motive sakrale Darstellungen oder die Portraitmalerei. Nun aber waren nicht mehr nur berühmte oder adlige Zeitgenossen Gegenstand der Darstellung, sondern auch zunehmend gewöhnliche, unbedeutende Menschen. Die Szenerie spielt auf dem Dorfplatz und ist immer ähnlich komponiert. Dem Leidenden wird vom Bader im farbenprächtigen Gewand der Zahn gezogen, und beide sind von staunenden und schadenfrohen Menschen umringt. Die Märkte dauerten of mehrere Tage und waren für die Niederländer eine soziale Institution. Menschen aus der ganzen Umgebung kamen zusammen, um sich zu vergnügen und einzukaufen oder die neuesten Geschichten zu vernehmen und weiter zu erzählen. Bei dieser Gelegenheit konnte man sich auch von den scheußlichen Zahnschmerzen befreien lassen. Zahnreißer hatten ihre Stände aufgebaut und priesen in prächtige, teile groteske Gewänder gehüllt, ihre Kunst.

Ein weiterer Bildtyp entsteht unter dem Einfluß Italiens und der Schule Caravaggios. Man läßt die Handlung in einem geschlossenen Raum stattfinden. Meist sitzen der Zahnarzt und sein Patient um einen Tisch, auf dem das Behandlungsinstrumentarium liegt. Beide sind selten allein, sondern meistens von einer staunenden Schar Menschen umringt. Eigentümlicherweise findet die Behandlung fast immer abends bei Kerzenschein statt. Darin läßt sich die negative Bedeutung, die der Profession der Zahnbrecher unterstellt wurde, ablesen. Schon im 16. Jahrhundert galt die Nacht als Zeit der lasterhaften Ausschweifungen und des Betruges.

Das bäuerliche Genre weicht später einer eleganteren Darstellung. Doch zum Ende des 16. Jahrhunderts kommt es, abweichend von dem Schönheitsideal der Renaissance, zu einer Reaktion, die nicht das vollkommen Schöne und Ideale erstrebt, sondern die Veränderung der Realität bis hin zum Gegenbild. Die beiden Brüder Agostino (1557 -1609) und Annibale (1560 -1604) Carracci beschäftigten sich in Bologna hauptsächlich mit dem Zeichnen von Köpfen, und begannen damit, die Gesichtszüge und Körpermerkmale ihrer Mitmenschen zu deformieren und signifikante Körperpartien, wie Nase, Lippen, Münder, Kopf- oder Körperform zu übertreiben. Dies wirkte witzig und komisch und amüsierte die Betrachter. Die dargestellten Menschen waren teilweise hässlich und auf groteske Weise entstellt. Und obwohl das Wort „Karikatur" ähnlich klingt wie der Name der beiden Carracci-Brüder, liegt wohl sein Ursprung in dem lateinischen Verb „caricare" - beladen, übertreiben. Eine Substantivierung zu „Caricatura" erfuhr es bei Mosini. Wie sehr jedoch auch die Darstellung physiognomischer Körpermerkmale übertrieben wurde, durfte das Prinzip der Ähnlichkeit nicht verletzt werden, weil ohne sie die typische Wirkung des Spottbildes nicht erreicht worden wäre. Der Karikaturist läßt in seinen Darstellungen die eigene Meinung einfließen, und er tut dies manchmal ironisch oder auch verletzend aggressiv. Manchmal ist sie für den Künstler vielleicht auch ein rein privates Ventil. Die Grenzen des guten Geschmackes wurden durchaus bisweilen überschritten. Er ist jedoch immer ein Kind seiner Zeit, dem jeweiligen Zeitgeist verhaftet und beeinflußt vom Zeitgeschehen.

Die Karikatur und ihre Ausbreitung war abhängig von der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung zwischen 1780 und 1840. Sie nahm ihren Aufschwung und entwickelte sich vorwiegend im England des 18. Jahrhunderts und verbreitete sich auf dem Kontinent zur Zeit der Französischen Revolution. In Frankreich gelangte sie erst im 19. Jahrhundert zu voller Blüte. Das 19. Jahrhundert bot wegen seiner politischen als auch sozialen Umstände reichlich Stoff. Was die Menschen in einer bestimmten Zeitepoche beschäftigt hat, oder ein Thema, was damals karikiert lustig war, muß einen heutigen Zeitgenossen jedoch nicht unbedingt zum Lachen bringen, weil er die Zusammenhänge oder historischen Hintergr,nde kaum mehr kennt.

Thomas Rowlandson, William Hogarth und W. Davison gehören zu den herausragenden Vertretern in England. Sie bedienten sich dabei hauptsächlich der Radierung, welche am Anfang des 16. Jahrhunderts aufgekommen war. Bei ihnen bekommt die Karikatur den Charakter eines zeithistorischen Dokumentes bezüglich eines volkstümlichen und zugleich aggressivkritischen Sittenbildes. Der Dorfschmied wird ebenso einbezogen wie der Landzahnarzt in seiner häuslichen Praxis. George Cruikshank (1792 - 1878) nutzt die Karikatur zur Anklage gegen soziale und politische Ungerechtigkeiten oder Mißstände. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Karikaturen von Honore Daumier (1808 - 1879) ein. Seine Darstellungen charakterisieren auf eine amüsante Art und Weise und sind, obwohl oft unerbittlich, niemals zu scharf oder gar abstoßend. Die unter seinen Radierungen stehenden Dialoge fordern stets zum Schmunzeln auf und sollen nicht erschrecken, überhaupt nehmen sich in jener Epoche viele Franzosen des zahnärztlichen Standes in der Karikatur an. Erwähnt seien hier exemplarisch Denis Auguste Marie Raffet (1804 -1860), Charles Emile Jacque (1813-1894), Eugene Lami (1800 -1890), Lquis-Auguste-Mathieu Legrand (1863 -1951)undAmedeedeNoi(1819-1879).

Eine andere Form der künstlerischen Umsetzung des Themas im 19. Jahrhundert erfolgte in einer Sonderform der Karikatur - der Bildergeschichte. [Beispiele: „TheTooth Ache" von George Cruikshank (1849) und „Der hohle Zahn" (1862) und das 8. Kapitel von "Balduin Bählamm (1883) von Wilhelm Busch.] Der bis ins 18. Jahrhundert bedeutende Kupferstich wurde im 19. Jahrhundert erstmals weitgehend durch die Lithographie und den Holzstich (Xylographie) ersetzt. Üurch die Ende des 18. Jahrhunderts von Alois Senefelder (1771 -1834) in München erfundene Lithographie kam es zu nahezu unbegrenzten Reproduktionsmöglichkeiten. Die Holzstichtechnik erfuhr ihre Hauptanwendung bei der Buchillustration.

Im 19. Jahrhundert erreichte die politische und gesellschaftskritische Karikatur ihren Höhepunkt und wurde bevorzugt als sozialkritische Waffe eingesetzt, in diesem Zusammenhang das zahnärztliche Motiv als politische Metapher. Dies ist nicht verwunderlich, bewegte der Zahnschmerz die Menschen in diesem Jahrhundert doch nach wie vor sehr. Die geschichtlichen Ereignisse, insbesondere die Französische Revolution, boten einen fruchtbaren Boden. Zudem führten die revolutionären Ereignisse zur Gründung von satirisch-politischen Zeitschriften wie „La Caricature" (1830) und „Le Charivari" (1882), der Londoner „Punch" (1841) und die Münchener „Fliegenden BIätter" (1844). Zu den politischen Motiven gesellten sich auch Darstellungen kleinerer Berufsstände wie die des Juristen, Arztes und eben auch des Zahnarztes.

Verglichen mit England und Frankreich fehlte es der deutschen Karikatur an Schärfe und Biß. Bis 1840 war die Zeit für die Karikatur eher unfruchtbar und man beschränkte sich im wesentlichen auf Nachdrucke der bildlichen Satire aus anderen Ländern. Erst die 1848er Revolution und die in ihrem Gefolge erkämpfte Pressefreiheit schafften die Grundvoraussetzungen für das Entstehen einer eigenständigen deutschen Karikatur. Der Anschluß an die politische Aktualität wurde allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreicht. 1865 tritt ein weiterer Begriff zur klassischen traditionellen europäischen Literatur hinzu - der Cartoon. Eine Sonderstellung nimmt die Illustration, insbesondere die von Kinderbüchern, ein. Cruikshank war in England ein herausragender Vertreter, verband er doch eine volkstümliche und humoristische Darstellungsweise mit sozialkritischen Zügen. Sein deutsches Pendant war Wilhelm Busch (1832 -1908). Er führte die Karikatur zu einer Form, die den späteren Zeichentrickfilmen als Vorlage dienen konnte. Um 1890 manifestiert sich die Bezeichnung „Comicstrip". Auch kurz „Comic" genannt, war er gekennzeichnet durch periodisches Erscheinen, Erzählung einer Geschichte in mehreren Bildern, feste Personen und Sprechblasen. Auch Wilhelm Busch beeinflußte die Entwicklung der „Comics" maßgeblich, doch ihre Vollendung erreichte diese erst in den USA. Allerdings dienten sie von Anfang an mehr dem Kommerz als der Kunst.

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