Zene Artzney

Pelikan

Pelikane gehören zu den ältesten Extraktionsinstrumenten, und es wird allgemein angenommen, dass der Pelikan seinen Namen wegen der Ähnlichkeit der Klaue mit dem Schnabel des Vogels gleichen Namens erhalten hat, wenngleich er in unterschiedlichen Formen und austauschbaren Bestandteilen gestaltet worden ist.

PelikaneEr wurde benutzt, um einen Zahn seitwärts mit großer Kraftanstrengung zu entfernen. Die Klaue umfasste die klinische Krone, und das Widerlager wurde gegen den Alveolarknochen gepresst. Zu seiner sinnvollen Anwendung benötigte man zwei feste und gesunde Stützzähne, die nicht weiter als zwei Zähne von dem zu ziehenden Zahn entfernt sein sollten. Zudem durfte der zu extrahierende Zahn nicht zu weit zur Zunge gerichtet sein, weil er sonst gegen seine Richtung gezogen, und entweder der Zahn oder ein größeres Stück des Alveolus brechen würde. (Nessel, 1856).

"Ausrenken" war der damals übliche Begriff, und er beschreibt wohl auch die durchgeführte Prozedur sehr treffend. Wenn der zu entfernende Zahn fester im Kieferknochen verankert war als die Stützzähne, braucht es nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, welche Zähne in diesem Fall entfernt wurden. Zweifellos wurde mit dem Pelikan sehr viel Schaden angerichtet. Der Berliner Hofzahnarzt Johann Jacob Joseph Serre (1759 -1830) hatte keine allzu hohe Meinung vom Pelikan: "Den Pelikan hingegen regiert die ganze Stärke der Faust und des Arms, welches die bloße Klemmung der Hand weit übertrifft. Kurz, es ist ein sehr ungeschicktes Instrument. Der Verfasser zeigt auch gar nicht die Art des Gebrauchs desselben; und fehlen vollends die benachbarten Zähne, so ist das ganze Instrument vergebens, weil es ohne Stützpunkt ist. Bei Wundärzten, die es nicht besser verstehen, ist dieses Instrument übrigens ziemlich in Ansehen" (Praktische Darstellung aller Operationen der Zahnarzneikunst, Berlin 1804). Auch Benjamin Bell (1749-1806) bildete in "System of Surgery" zwei Pelikane ab, hielt aber von deren Anwendung nicht viel, weil er keinen Vorteil zum Zahnschlüssel sah. Justus Christian Loder (1753-1832), welcher Goethe in Anatomie unterrichtet hatte, probierte alle seine Instrumente an Leichen aus und beurteilte Pelikane ebenfalls ungünstig. Der "Vater der Zahnheilkunde" Pierre Fauchard (1678-1761) dachte vor allen Dingen pragmatisch: "Es gibt da gewisse Messerschmiede, die sich in das Zähneziehen einmischen. Die von ihnen hergestellten Instrumente scheinen die Begierde auszulösen, sie auch auszuprobieren. Um den Patienten nicht zu erschrecken, soll man sehr darauf achten, daß das Instrument verborgen bleibt." Er wusste wohl, wovon er sprach, denn seine abgebildeten Pelikane waren grober und klobiger konstruiert als ältere Exemplare - "nämlich in einer Art und Weise hergestellt, wie noch niemals zuvor". Aber die Vielzahl der verschiedenen Erscheinungsformen belegt, dass der Pelikan bis zur Mitte des 19Jahrhunderts ein beliebtes Extraktionsinstrument war.

Es ist nicht bekannt, wann der Begriff "Pelikan" zum ersten Mal erscheint. John Woodall (1556 -1643) erwähnte in "The Surgion's Mate" (1617) bezüglich Zahnextraktionen etwas über einen "Pullican". Der Ursprung aus dem englischen "to pull" wäre also auch denkbar. Charles Allen bezeichnete das Instrument als "Polican" (The Operator of the Teeth, 1686).
Die erste Zeichnung eines Pelikans erscheint in der venezianischen Ausgabe des "über ad Almansorem" von Giovanni d'Arcoli (1460), später in Walter Ryffs "Gross Chirurgei" (1545).
Ich unterteile Pelikane in vier Hauptgruppen: Pelikane mit einem Schaft und Widerlager, Pelikane mit zwei Schäften und Widerlagern (bei beiden können sowohl eine oder zwei Klauen vorhanden sein), Pelikane mit Endlosschraube und Überwürfe. Daneben wurden auch speziell geformte Pelikane und Übergangsinstrumente entwickelt.

Frühe Exemplare haben einen geraden Schaft mit einer Klaue. Sie waren aus Eisen hergestellt, und die innere Oberfläche des Widerlagers war tief eingekerbt. Dieses war mit Leder, Leinen oder Stoff umwickelt, um den Druck auf das Zahnfleisch abzumildern. Später wurden zwei Klauen von unterschiedlicher Länge eingeführt, um auf verschiedene Zähne unterschiedlichen Umfangs zu passen.

Es dauerte fast 100 Jahre bis bei Johann Scultetus [Schultheiß] (1595 - 1645) im "Armamentarium chirurgicum" (1653) wieder ähnlich geformte Pelikane, diesmal etwas mehr ornamental, abgebildet wurden. Diese allgemeine Erscheinungsform des Pelikans wurde vom 16. bis zum 19. Jahrhundert beibehalten. Der Hauptunterschied bestand in der Gestaltung des Schaftes. Im 18. Jahrhundert wurden die Instrumente immer kunstvoller verziert. Elfenbein, Silber, Gold und verschiedene Hölzer wurden verwendet, aber auch die einfachen Formen kamen nicht aus der Mode.

Der erste Pelikan mit zwei Enden wurde in Ryffs "Gross Chirurgei" (1545) dargestellt, später von Martinez (1557), Pare (1564), Guillemeau (1594), Woodall (1617), Dionis (1708), Cron (1717), Fauchard (1728), Leber (1770), Perret (1772), Petit (1774), Campani (1786), Gariot (1805), Rudtdorffer (1817) und anderen.

Eine entscheidende Neuerung wurde 1719 von Lorenz Heister (1683 -1758) initiiert, obwohl dieser Typus auch schon bei Ryff (1545) abgebildet worden war. Die Kralle war an einer verstellbaren Schraube angebracht, die am Griff betätigt wurde. Bei Heister konnten drei unterschiedliche Krallen befestigt werden, welche alle in einem unterschiedlichen Winkel zum Schaft standen. Auch bei diesem Typ gab es zahlreiche Variationen, beschrieben und abgebildet von den unterschiedlichsten Autoren wie Lecluse (1754), Perret (1772), Bücking (1782), Andree (1784), Campani (1786), Arroyo (1799), Serre (1803), Gariot (1805), Rudtdorfer (1817), und Leo (1824). Garengeot (1725) zeigte einen Pelikan mit konkavem, halbmondförmigen Widerlager.

Einen Höhepunkt in der Entwicklung der Pelikane zeigen die Abbildungen in der Encyclopädie von Diderot und d'Alembert. Unter dem Titel "Recuceil des Planches du Dictionaire de Chirurgie" (1799) findet sich eine Fülle von Typen. Unterschiedlichste Krallen, die an der Endlosschraube befestigt wurden, sowie verschiedene Widerlager ermöglichten ein noch variableres Zusammenspiel zwischen Kralle und Widerlager.

Zwischen den Überwürfen und den anderen Pelikanen bestehen zwei wesentliche Unterschiede: Der Überwurf hat ein weniger breites Widerlager und stützt sich während der Manipulaton nicht an den Nachbarzähnen ab. Auch hier war Ryff (1545) wieder der erste, der diesen Typus illustrierte. Weitere Modifikationen erschienen bei Pare (1564), Ferrara (1627), Scultetus (1653), Heister (1719), Fauchard (1728), Leber (1770), Perret (1772), Brambilla (1782), Knaur (1796), Laforgue (1802), Serre (1803), und anderen.
Das Instrument mit entsprechend zur Kralle nach vorn gekrümmten Widerlager, wie es von Perret 1772, von Brambilla 1781 ("Instrumentarium Chirurgicum Viennense"), und Knaur 1796 ("Selectus Instrumentorum Chirurgicorum") dargestellt wurde, bezeichnet man als tire-toir oder tirtoir. Der erste, der den Begriff "Überwurf" benutzte, scheint Ludwig Cron (1717) gewesen zu sein.

Von allen Extraktioninstrumenten hat der Überwurf die stärkste Hebelwirkung. In den Händen eines ungeübten Behandlers konnte er einen enormen Schaden anrichten. Dies war auch der Grund dafür, daß die Einschätzungen über den Nutzen dieses Instruments bei den Chirurgen des 18. und 19. Jahrhunderts weit auseinander gingen. Um das Risiko einer Verletzung zu senken, galt jedoch allgemein die Forderung, den Überwurf nicht bei Molaren zu verwenden. Hier galt der "Englische Schlüssel" als Instrument der Wahl. Mit diesem konnte zwar der Zahn brechen, doch dies war immer noch weniger dramatisch als ein Kieferbruch, wie er beim Überwurf leicht passieren konnte. Aber jeder Anwender der damaligen Zeit hatte seine eigenen Methoden und Vorlieben, wobei vor allem die eigenen Entwicklungen als gut und nützlich dargestellt, die der anderen jedoch meistens als "entbehrlich" beurteilt wurden. Franz Nessel (1803 -1876) berichtet: "Einmal befand ich mich in einer Landstadt und wurde ersucht, einen Zahn auszuziehen. Weil ich kein Instrument bei mir hatte, so schickte ich zum dortigen Chirurgen und erhielt wahrscheinlich sein Lieblingsinstrument, den Ueberwurf, der Art verrostet, dass ich den Rost mit dem Messer abschaben, das Instrument auseinanderlegen, die Schraube mit Oel bestreichen musste, um den Haken verlängern zu können. Nach den Blutflecken, die am Ueberwurf sichtbar waren, zu urtheilen, hatte der Chirurg damit operiert; erfand es aber nicht nöthig, den Haken zu verlängern oder zu verkürzen, noch viel weniger zu reinigen. Ich erwähne es bloß deswegen, damit man sich einer besonderen Reinigung der Zahninstrumente befleissigt" ( Compendium der Zahnheilkunde, Wien, 1856).

Im Verlauf des 19Jahrhunderts verlor der Pelikan zunehmend an Bedeutung; die letzten Exemplare wurden von Charriere und Colin um 1860 in Paris hergestellt.

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